Wer:
* Gregor Mayntz, Journalist und seit 2011 Vorsitzender der Bundespressekonferenz
* Vera Linß, Medienjournalistin
Was: Interview zum Verhältnis Politik und Medien
Wann: rec.: 27.03.2019, veröffentlicht in Auszügen im radioeins-Medienmagazin vom 30.03.2019, 18:05-19:00 Uhr und im rbb Inforadio vom 31.03.2019, 10:44 und 17:44 Uhr
Wo: Berlin, Haus der Bundespressekonferenz
[00:00:00] Ich muss ein bisschen ausholen, denn Ende 2016, da waren wir auf einer Veranstaltung. Da ging es um die Aktivitäten der Kanzlerin und der Ministerien, die manchmal wie Journalismus wirken. Und da lautete die Frage: Wie viel Rundfunk darf die Regierung machen? Das war im November 2016. Und da habe ich sie interviewt und da sagten Sie, Aufregung sei fehl am Platz. Sie hätten keine Sorge, dass durch die medialen Aktivitäten der Politiker Journalisten überflüssig werden. Und Sie sprachen eine Empfehlung aus, nämlich die klassischen Medien sollten Politiker auf keinen Fall umgehen, denn ihr Standing in der Öffentlichkeit hänge auch davon ab, wie souverän sie sich unseren Fragen stellen. Jetzt drei Jahre später frage ich mich: Sehen Sie es immer noch so gelassen?
[00:00:47] Es gibt inzwischen Entwicklungen, die ich mir damals nicht so hätte vorstellen können. Dass Politiker das nicht sozusagen on top betrachten, sondern an die Stelle von Kontakten mit Journalisten setzen. Das geht natürlich nicht.
[00:01:08] In den letzten drei Jahren hat sich ja tatsächlich einiges getan. Der jüngste Trend: Newsrooms in den Ministerien. Die CDU will sich einen Newsroom schaffen. Da gibt´s dann so TV-Studios und Multimedia-Ecken. Auch die Ministerien haben das zum Teil schon. Wie bewerten Sie das?
[00:01:20] Wie man sich in den neuen digitalen Zeiten einrichtet, auch als Regierung, das ist erst mal Regierungsangelegenheit. Und wenn sie tatsächlich auch direkte Kommunikation nutzen wollen über die sozialen Medien, dann ist das auch Ihre Sache. Aber wenn sie irgendwann dazu übergehen, diese direkte Kommunikation an die Stelle von kritischen Nachfragemöglichkeiten für unabhängigen Journalismus stellen, dann wird es problematisch. Dann sind sie nämlich dabei, an der Stütze der Demokratie, nämlich an der Pressefreiheit zu sägen und das bekommt keinem gut.
[00:02:02] Das ist natürlich erst mal eine ethische Frage oder eine Frage des demokratischen Grundverständnisses. Aber kann man sie dann theoretisch oder auch praktisch stoppen, so etwas zu tun?
[00:02:11] Das ist eine Frage, über die müssen wir mal genauer nachdenken. Im Grunde habe ich ja gerade skizziert, dass es in ihrem eigenen Interesse liegen muss, die Demokratie zu stärken und nicht wesentliche Stützpfeiler dieser Demokratie selbst zu beschädigen. Insofern gebe ich Ihnen recht: Ja, das ist auch eine ethische Frage, aber das ist auch eine Frage, wie diese Demokratie funktioniert. Und dass die freie Presse konstitutiv ist, dass die freie Presse absolut notwendig ist für das Funktionieren der Demokratie, hat das Verfassungsgericht mehr als einmal unterstrichen. Daran sollte sich auch die operative Politik orientieren.
[00:02:54] Sie hatten sich ja im ZDF vergangene Woche schon zu dieser ganzen Thematik geäußert und da sagten Sie, das erinnere Sie an totalitäre Systeme. Das sei inszenierte Wirklichkeit. Welche Gefahren sehen Sie?
[00:03:06] Da müssen wir unterscheiden. Anlass war ja zunächst dieses Werkstattgespräch, das die CDU gemacht hat und wo es unabhängigen Berichterstattern nicht möglich war, sich ein eigenes Bild zu machen. Da hätte man sagen können: Ja, das war jetzt für diesen einen Anlass eine Möglichkeit, damit umzugehen. Das sollte jetzt nicht Schule machen. Aber wenn im Nachhinein die CDU-Vorsitzende sich dafür feiert und sagt, in diese Richtung wird es weitergehen und wir werden eine Richtung einschlagen, wo wir selbst die Nachrichten über uns selbst machen und parallel ein Musterbeispiel dafür geliefert wird, wie sie diese eigenproduzierten Nachrichten an die Stelle von Möglichkeiten setzt, dass Journalisten sich ihr eigenes Urteil bilden können, dann kommen wir in eine Situation rein, wo es wirklich problematisch wird und wo mich dann dieser Umgang miteinander auch an totalitäre Systeme erinnert.
[00:04:05] Muss man unterscheiden zwischen Ministerien, die ja auch Steuergelder sozusagen dafür nutzen, sich in der Öffentlichkeit darzustellen – das müssen sie ja auch, es ist ja auch Teil der Aufgabe. Aber muss man unterscheiden zwischen Ministerium und zum Bespiel einer Partei? Wenn man die Sache kritisch betrachtet.
[00:04:23] Da müsste man jetzt genauer sich noch einmal die Urteile des Verfassungsgerichts anschauen, die den Parteien grundsätzlich eine größere Freiheit einräumen, als das, was Ministerien mit den Mitteln ihrer Öffentlichkeitsarbeit machen. Da gibt es natürlich einen Unterschied. Aber wenn man sich anschauen würde, es ging jetzt nicht um ein Werkstadtgespräch, was ja nun einen bestimmten Anspruch haben kann, dass es einen Klausurcharakter annehmen kann, sondern es ginge etwa um einen zentralen Parteitag und eine Partei würde da hingehen und sagen, kein Journalist darf daran teilnehmen. Die Öffentlichkeit darf nicht live berichten, es dürfen keine Beobachter daran teilnehmen, sondern wir stellen anschließend ein Video zur Verfügung, wo unsere große Vorsitzende toll beklatscht wird. Und das nehmt ihr bitte als Berichterstattung über unseren Parteitag. Dann wissen wir selber, dass das ziemlich absurd wäre.
[00:05:13] Die Parteien, Sie hatten schon Annegret Kramp-Karrenbauer zitiert, die Parteien und Ministerien wollen selber darüber bestimmen, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Frau Kramp-Karrenbauer sagte ja auch, wir waren Herr über die Bilder, die da ausgestrahlt worden sind. Ich habe mich gefragt, ob das auch ein bisschen was mit den Journalisten zu tun hat insofern, als dass es ja so ein Trend gibt, sehr stark zuzuspitzen, sehr stark zu personalisieren, sich auf Themen einzuschießen. Könnte das dazu beigetragen haben, dass Politiker sagen: Wir wollen das jetzt mehr selbst in die Hand nehmen.
[00:05:46] Das ist das alte Spiel, das wir auch seit Gründung der Bundespressekonferenz kennen. Wir haben keine gesetzliche Handhabe, um Politiker zu zwingen, sich unseren Fragen zu stellen. Und insofern muss jede Pressestelle immer selbst abwägen, ob es günstiger ist, einen Politiker nur in einem geschützten Raum innerhalb des eigenen Hauses mit schönem Hintergrund mit blühenden Landschaften und schöner Musik vielleicht zur Einstimmung zu präsentieren und zu hoffen, dass dieses Bild dann direkt eins zu eins in die Öffentlichkeit kommt. Oder ob sie sich allen kritischen Fragen unserer Mitglieder stellen. Die Versuchung, die erste Variante zu wählen, ist natürlich inzwischen gewachsen, weil man die Kanäle nutzen kann, um direkt in diese Kommunikation hineinzukommen mit den Bürgern. Aber ich weiß nicht, ob sie à la longue empfehlenswert ist, denn es kommt ja doch rüber, dass der Mensch sich nicht kritischen Fragen stellt. Es mag zwar suggerieren, wenn ein Minister eine Mitarbeiterin in eine Interviewsituation hineinsetzt, die so aussieht, als würde sie selber kritische Fragen stellen, aber ansonsten sehr schnell entlarvt werden kann, dass sich da ein Minister angenehme Fragen von einer eigenen Mitarbeiterin sozusagen als Stichwortgeber setzen will und das als Interview verkauft. Ich glaube irgendwann entlarvt sich das selbst.
[00:07:14] Das spricht die Medienkompetenz des Bürgers aber auch an. Glauben Sie, die Menschen bekommen das mit oder ist da wirklich eine Gefahr der Täuschung drin?
[00:07:23] Also ich glaube, wenn man zum ersten Mal damit konfrontiert wird mit einem solchen Pseudointerview-Format, wo behauptet wird, dass hier alle Fragen, auch die kritischen Fragen der Bürger vom Minister beantwortet werden und man quält sich dann durch diese – weiß ich nicht, 10, 15, 20 Minuten durch – und man erkennt eigentlich keine kritische Frage. Dann wird man das nächste Format schon etwas genauer betrachten und wenn da eine pseudokritische Frage kommt, die aber so formuliert ist, dass der Politiker nicht wirklich in eine kritische Situation kommt, wo er dann wirklich herausgefordert wird. Dann wird man dieses Format sicherlich als Zuschauer als Zuhörer entsprechend werten können.
[00:08:12] Ich frage mich dennoch, kann man die Politik insofern so ein bisschen verstehen, weil zum Beispiel Verkehrsminister Scheuer wird im „Spiegel“ mit den Worten zitiert, Journalisten wollen ja nur über den Diesel schreiben, aber nicht über die Mobilität der Zukunft. Dahinter steckt ja die Kritik, wir Journalisten schreiben halt über das schlechte, über das spektakuläre, weil sich´s gut verkaufen lässt. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
[00:08:39] Wenn wir uns die Berichterstattung über die Rolle des Ministers bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft angucken, dann habe ich meine Zweifel, ob wer näher am Interesse des Publikums ist, ob es wirklich der Minister mit seiner Agenda ist oder ob es die Medien sind, die natürlich sehr viel Resonanz auch aus der Bevölkerung aufgreifen und den Minister damit konfrontieren wollen.
[00:09:07] Sie sind ja als Vorsitzender der Bundespressekonferenz auch regelmäßig persönlich im Kontakt oder Aug in Aug im Kontakt mit Politikern, Sie begegnen ihnen sozusagen in real. Spricht man da über solche Themen, über diese Entwicklung? Ist das ein Thema, dass sie sich darüber austauschen, was da jetzt eigentlich sich vollzieht?
[00:09:26] Bisher noch zu wenig intensiv.
[00:09:29] Müsste man mehr tun?
[00:09:31] Wir haben regelmäßig Formate, wo wir uns auch mit den Pressestellen austauschen und ich kann mir vorstellen, dass wir das mal auf die Tagesordnung setzen.
[00:09:41] Sabine Müller vom Hessischen Rundfunk hat in einem Beitrag darüber berichtet, dass Journalisten bei einem Außentermin mit dem Außenminister Maas warten mussten, weil erst einmal Instagram-Content erstellt werden musste und dann kamen, wenn noch Zeit war oder in der Zeit, die noch blieb, Journalisten ran für ein Interview. Rutschen Journalist in die zweite Reihe?
[00:10:03] Wenn es so ist, dann ist es eine gefährliche Entwicklung.
[00:10:06] Haben Sie es selbst schon erlebt?
[00:10:10] So direkt nicht. Wenn man um ein Interview nachfragt, dann ist klar, dass es nicht jederzeit auf einen Fingerschnipsen erfolgen kann. Von daher ist diese Verbindung etwas schwierig herzustellen. Besser war es sicherlich erlebbar bei dem, was Kollegin Müller beschreibt. Aber wenn man auf die Dauer mitkriegt, wir fragen jetzt seit einem halben Jahr an um ein Interview und stattdessen werden wir immer wieder auf irgendwelche Schnipsel in irgendwelchen sozialen Netzwerken verwiesen, dann ist das natürlich ganz anders zu gewichten. Bis jetzt sieht es so aus, dass wir bei der Präsenz von Ministern in der Bundespressekonferenz noch keinen negativen Trend erkennen. Wir werden das aber genau beobachten.
[00:11:02] „Ein halbes Jahr Anfragen“ bringt mich zu einem guten Stichwort Ich selbst habe jetzt versucht im Vorfeld zu diesem Beitrag mit Ministerien ein Interview führen zu können zu dieser Entwicklung. Ich habe vier Ministerien angefragt, zwei haben sofort abgesagt, zwei Antworten gar nicht. Ein fünftes ist sozusagen in der Pipeline. Mein Eindruck ist, man möchte nicht so richtig über dieses Thema reden. Ich habe mich gefragt, könnte das auch daran liegen, dass die Politik vielleicht selbst noch nicht so richtig weiß, wie sie dieses Verhältnis mit Journalisten in Zukunft ausgestalten will? Dass jetzt erst mal Newsrooms und alles Mögliche da installiert werden und man noch so gar nicht richtig weiß, welchen Kodex, welche Leitlinien man da verfolgen will?
[00:11:44] Das ist eine interessante These, die leicht nachvollziehbar ist, denn wir wissen ja, dass das Verfassungsgericht den Rundfunkbegriff zwingend mit Staatsferne verknüpft hat. Und wenn jetzt dieser Grundsatz, der seit dem Rundfunkurteil der frühen sechziger Jahre Bestandteil der Medienorganisationen in diesem Lande ist, mit dem Umweg über die sozialen Netzwerke ausgehebelt wird, kann ich mir vorstellen, dass das irgendwann noch einmal eine Rolle spielt. Und dass natürlich wahrscheinlich die Reichweite da eine große Rolle spielen wird. Wenn der Podcast der Bundeskanzlerin ein paar hundert Mal angeguckt wird, wird das wahrscheinlich keinen nervös machen. Aber wenn sie nur noch über Podcasts kommunizieren würde und sie jedes Mal ein Millionenpublikum bedienen würde und es parallel keine anderen Möglichkeiten gäbe, die Bundeskanzlerin zu fragen, ich glaube, dann wären wir an einem ganz anderen Punkt. Und ich glaube, solange das nicht entschieden ist, wie staatsfern der Rundfunk im sich wandelnden Mediensystem ist, solange ist die Zurückhaltung wahrscheinlich nachvollziehbar.
[00:13:03] Brauchen wir einen neuen Kodex über das Verhältnis zwischen Politik und Medien im Zeitalter der sozialen Medien, des Internets? Oder würden Sie sagen, im Zweifel müsste man dann wirklich sich auf die Gerichte verlassen?
[00:13:19] Also das Internet gibt’s ja nicht erst seit gestern und wir sind alle noch dabei, unsere Rolle im digitalen Zeitalter zu suchen. Manche haben sie schon gefunden, manche meinen auch nur, sie gefunden zu haben. Und insofern ist es, glaube ich, für eine feste Kodifizierung viel zu früh. Da ist ja auch noch sehr viel in der Entwicklung. Die Einstellung der Verlage zum Internet wandelt sich, auch die Rolle, die die klassischen Medien insgesamt spielen, ist starken Wandlungen begriffen. Und dass sich dann natürlich Pressestellen auch neu orientieren, ist nur verständlich und nachvollziehbar.
Herzlichen Dank, Dankeschön.
(wörtliches Transkript)