27. Mai 2023
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: Digit@l China. Überwachungsdiktatur und technologische Avantgarde | Kristin Shi-Kupfer
Gestalter der Digitalisierung in China
Die Digitalisierung in China wird durch eine große Vielfalt an Protagonistinnen vorangetrieben. Sie genauer in den Blick zu nehmen, mahnt die Sinologin Kristin Shi-Kupfer.
China und Digitalisierung – da denken die meisten hierzulande zuallererst an Repression. An die Totalkontrolle durch ein Social-Scoring-System, die Zensur der Internetkommunikation und die Unterdrückung von Minderheiten. An einen starken Staat und die mitlaufende Masse, aus der hin und wieder ein mutiger Oppositioneller hervorsticht. Für Kristin Shi-Kupfer greift diese Sicht zu kurz. Besonders stört sie, dass die Bedeutung einzelner Individuen beim Aufstieg des Landes zur digitalen Weltmacht übersehen wird. Diese agierten zudem mit widersprüchlichen Interessen. Deshalb fordert die Sinologin mit Blick auf China eine „Perspektive der Ambivalenz“.
Und diese ist dringend nötig! Sieben Bereiche nimmt Kristin Shi-Kupfer unter die Lupe. Die Welt der Behörden und Beamten, die Chinas Digitalpolitik planen. Die Geschäftsleute, die mit der Digitalisierung reich werden. Die IT-Spezialisten und Softwareentwickler wie auch die Aktivisten und Bürgerrechtler, die sich über digitale Medien Gehör verschaffen. Und nicht zuletzt die Konsumenten, Hacker und Influencer. Jedes Kapitel verknüpft sie mit den Werdegängen von Protagonisten, die Chinas digitale Welt prägen oder geprägt haben, die hierzulande aber wenig bekannt sind.
Wie etwa Lu Wei, der erste Chef von Chinas Cyber Administration, die das Internet reguliert. Mit Fleiß und rhetorischem Geschick schaffte er es vom Lehrer zum obersten Zensor. Seine Karriere endete jäh vor Gericht – wegen Bestechung in Millionenhöhe. Im Kontrast dazu: der glamouröse Aufstieg von Huang Wei alias Viya, die als „Livestream-Königin“ berühmt wurde – dank ihrer erfolgreichen Live-Verkäufe auf der Plattform Taobao. Einflussreich ebenso die Aktivitäten von Jan und Katt Gu, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Techbranche stark machen und damit einen Nerv treffen.
Doch Kristin Shi-Kupfer gibt nicht nur der Digitalisierung ein Gesicht. Sie erläutert auch, wie komplex die Verhältnisse sind, in denen diese Vorreiter agieren. Stets gibt es mehr als nur eine Triebkraft in ihrem Handeln. Gut sichtbar wird dies am Beispiel der ersten Gründer großer Digitalunternehmen in China – wie AliBaba-Chef Jack Ma und seiner Mitstreiterin Lucy Peng. Ihr professionelles Interesse, nach westlichem Vorbild Geld zu verdienen, musste immer wieder abgeglichen werden mit den Loyalitätsforderungen der chinesischen Regierung. Chinas bekanntester E-Sportler Wang Chunyu oder die Krypto-Künstlerin Song Ting dagegen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Selbstverwirklichung, Rebellion und kultureller Zugehörigkeit. Anderen, wie Jan und Katt Gu, geht es einfach „nur“ um Gerechtigkeit.
Deren Engagement relativiert zwar nicht Chinas Stellung als politischer Gegner des Westens. Denn der chinesische Staat lässt sie nur nach Gutdünken gewähren. Gleichzeitig belegt Kristin Shi-Kupfer mit ihren Recherchen aber auch: Die Digitalisierung ist von Umbrüchen und Überraschungen gezeichnet, die den autoritären Staat enorm herausfordern. Das Social-Scoring-System etwa gibt es – entgegen gängiger Annahmen – noch immer nicht flächendeckend. Chinas Internet ist zu fragmentiert, der Widerstand zu groß. Solche Details in den Blick zu nehmen, mahnt Kristin Shi-Kupfers erhellendes Buch. Denn nur damit, so ihr kluger Schluss, kann der Westen auch in China Verbündete für eine demokratische Politik finden.
27. Mai 2023
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: Filter. Digitale Bildkulturen | Berit Glanz
Bildervielfalt mit Schattenseiten
Durch digitale Filter ist die Bearbeitung von Fotos zum Mainstream geworden. Um ihr Potential voll auszuschöpfen, müssen die Filter aber besser kuratiert werden, mahnt die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz.
Vor wenigen Wochen sorgte der Run auf „Bold Glamour“ für Aufregung. Mit dem Schönheitsfilter kann man auf dem Videoportal TikTok sein Gesicht „optimieren“. Volle Lippen, glatte Haut, breite Wimpern – all das wirkt dank einer KI besonders echt. Umso größer die Sorge: Schadet das Filtern von Bildern dem Selbstwertgefühl? Wie beeinträchtigt die millionenfache Verfremdung die Wahrnehmung der Realität? Noch ist es für Bewertungen zu früh, konstatiert die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. Zeigt aber gleichzeitig: Digitale Filter sind trotz aller Bedenken zur alltäglichen Kulturpraxis geworden – und das in rasend kurzer Zeit!
Möglich wurde dieser Siegeszug mit der Erfindung von Smartphones vor über fünfzehn Jahren, die einen Touchscreen hatten und es auch dem Laien erlaubten, Bilder zu bearbeiten – was ganz offensichtlich einen Nerv traf! Sachkundig und mit vielen Beispielen schildert Berit Glanz die technische Entwicklung, die dann ihren Lauf nahm: von einfachen Filtern, mit denen man schlechte Aufnahmen nur optisch verbessern konnte, hin zu KI-gestützten Apps, die die Bilder inzwischen komplett verändern.
Legendär in den Anfängen die App Hipstamatic, wie auch der Instagram-Filter – beide gaben digitalen Fotos die Anmutung von Analogem, etwa durch den Retro-Look oder das quadratische Bildformat. Später dann populär: Katzenohren- und Katzenkopffilter. Mittels Augmented Realty wurden hier Graphiken dem Original hinzugefügt. Ein weiterer Trend: Videoanimationen. Aus statischen Bildern wurden Straßen, die sich zu Wasserflächen verflüssigen, Gebäude, die an Science-Fiction erinnern oder ein „I feel good“ singender Arthur Schopenhauer – ermöglicht durch die App Wombo.
Welches aber war die Killerapplikation, die für den Durchbruch der Filterkultur gesorgt hat? Erhellend, wie Berit Glanz hier die Dynamiken hinter den Bildern analysiert. Die wären nämlich nichts Besonderes ohne den Austausch im sozialen Netzwerk, was erstmals Instagram möglich machte. Erst das gemeinsame, kostenlose Anschauen habe die Filterfunktion im kulturellen Bewusstsein verankert. Und den Weg frei gemacht für neue Geschäftsmodelle. Influencerinnen etwa entwickeln seit einiger Zeit standardisierte Anwendungen für einzelne Filter-Apps, die sich massenhaft verkaufen. Urlaubsbilder lassen sich damit in einen „Orange/Türkis-Look“ tauchen. Mutterschaftsinfluencerinnen dagegen werben für warme Farben ohne Blautöne.
Beeindruckend, welch große Bildervielfalt durch digitale Filter entstanden ist! Doch auch die Schattenseiten sind nicht zu übersehen. Die Kommerzialisierung durch die sozialen Netzwerke führe regelmäßig zu einer ästhetischen Normierung, kritisiert Glanz. Auch wenn es dazu noch weiterer Wirkungsforschung bedarf, für sie steht jetzt schon fest: Die Hersteller der Apps müssen mehr soziales Verantwortungsbewusstsein zeigen. Denn auch rassistische und frauenfeindliche Stereotype würden immer wieder transportiert. Und auf diese Weise, so zeigt Berit Glanz in ihrem klugen Buch, „neue Bilder mit alten Verzerrungen“ verbreiten.
19. Oktober 2022
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Medientage München: „NEUSTART NACH DER KRISE“
„Aufruhr beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Sommer 2022 vergeht kein Tag ohne Diskussionen über Vetternwirtschaft, Bonussysteme oder gar politische Filter in einzelnen ARD-Anstalten. Welcher Skandal erwartet uns als nächstes? Die Vorwürfe sind weitreichend: Mangelnde Aufsicht durch die Gremien, Klüngeleien, zu viel Macht in den Führungsebenen – und das alles finanziert durch den Rundfunkbeitrag. Das Vertrauen der Zuschauer:innen und Hörer:innen ist erschüttert und die Frage steht im Raum, wie es bei der ARD jetzt weitergehen kann. Wie kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk wieder aus der Krise? Kommt es zu konkreten Konsequenzen für den Senderverbund im Rahmen einer umfangreichen ARD-Reform? Auf den diesjährigen MEDIENTAGEN MÜNCHEN diskutieren wir darüber, welche Änderungen die Politik fordert und welche die Sender planen, um das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiederherzustellen.“
Was: Podiumsdiskussion „NEUSTART NACH DER KRISE – Was muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk ändern?“
Veranstaltung der Medientage München 2022 Wer:
* Dr. Wolfram Weimer, Verleger und Publizist
* Dr. Florian Herrmann, Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien
* Vera Linß, Freie Medienjournalistin (Moderation)
* Tabea Rößner, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
* Thomas Hinrichs, Programmdirektor Information, Bayerischer Rundfunk Wann: 19.10.2022, 16:10 Uhr Wo: ICM, Messe München
19. Oktober 2022
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Medientage München: „GUTE UNTERHALTUNG WÜNSCHT DER MEDIENSTAATSVERTRAG!“
„Der neue Medienstaatsvertrag wird wohl die Anforderungen an die Unterhaltung in den öffentlich-rechtlichen Programmen modifizieren. Zuschauern sollen Unterhaltungsformate angeboten werden, die einem “öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen”. Bildungsauftrag und Unterhaltungswert rücken damit scheinbar auseinander. Führt dieses Ungleichgewicht zu mehr Klarheit in der Aufteilung von Bildung, Information und Unterhaltung oder ist es ein Angriff auf Themenvielfalt und Gleichberechtigung? Haben die Privaten damit nun automatisch den Spaß-Faktor gepachtet? Was bedeutet das für die Programmstruktur von ARD und ZDF und wie müssen sie ihre Formate jetzt neu aufstellen?“
Was: Podiumsdiskussion „GUTE UNTERHALTUNG WÜNSCHT DER MEDIENSTAATSVERTRAG! – Öffentlich-rechtlich oder privat – Wer unterhält die Zuschauer:innen besser?“
Veranstaltung der Medientage München 2022 Wer:
* Jörg Schönenborn, WDR-Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung, Koordinator Fernsehfilm in der ARD
* Vera Linß, Freie Medienjournalistin (Moderation)
* Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender VAUNET Wann: 19.10.2022, 11:10 Uhr Wo: ICM, Messe München
18. Oktober 2022
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für AG DOK: Die ARD nach der sogenannten „Krise im RBB“
„Die Rundfunkanstalten benötigen dringendst Aufsichtsgremien, die in der Lage sind bzw. in die Lage versetzt werden, die an sie gerichteten Erwartungen und Aufgaben auch zu erfüllen. Welche organisatorischen und personellen Veränderungen brauchen die ARD-Gremien, um für die anstehenden Herausforderungen gewappnet zu sein? Diese Fragen diskutieren wir mit dem sächsischen Staatsminister für Medien, einer WDR-Rundfunkrätin, einer Medienpolitikerin, einem Regisseur und ehemaligen Redaktionsleiter des SWR und einem Wissenschaftler, um Wege aufzuzeichnen für einen starken öffentlichen Rundfunk, der seine wichtige gesellschaftliche Funktion in Zukunft erfüllen kann.“
Was: Podiumsdiskussion „Die ARD nach der sogenannten ‚Krise im RBB’– welche Reformen benötigen die Aufsichtsgremien, um ein solches systemisches Versagen in Zukunft zu verhindern?“
Veranstaltung der AG DOK innerhalb des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm Wer:
Vorworte:
* Andreas Schroth, Produktionsleitung medeafilm, AG DOK
* Alice Agneskirchner, Drehbuchautorin und Regisseurin, AG DOK
Diskussionsteilnehmer:+
* Dominik Speck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik der TU Dortmund und Autor der Expertise „Öffentliche Anteilnahme ermöglichen. Transparenz, Aufsicht und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland“ (im Auftrag des DGB)
* Petra Schmitz, Mitglied im WDR-Rundfunkrat seit 2016, bis 2020 Leiterin der Dokumentarfilminitiative (dfi) im Filmbüro NW
* Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien
* Vera Linß, Freie Medienjournalistin (Moderation)
* Goggo Gensch, Regisseur, Autor, Kurator, von 2017 bis 2019 Leiter des SWR Doku Festivals und des Deutschen Dokumentarfilmpreises, Mitglied der AG DOK und Sektionsvorstand der Sparte Dokumentarfilm in der DAfF
* Tabea Rößner, Journalistin, Autorin und Redakteurin, seit 2009 Abgeordnete der Grünen im Deutschen Bundestag Wann: 18.10.2022, 10:12 Uhr Wo: Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig
16. März 2022
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“ | Hadija Haruna-Oelker
Bestimmte Themen führen immer wieder zu Grabenkämpfen in der öffentlichen Debatte. Etwa wenn es um den Einsatz des Gendersternchens geht oder um die Umbenennung von Straßen mit kolonialem Bezug. Auch die so genannte Identitätsdebatte birgt viel Sprengstoff – die Frage also, ob nicht jeder nur sich selbst repräsentieren und nur über sich selbst sprechen darf: Weiße über Weiße, Schwarze über Schwarze, Ostdeutsche über Ostdeutsche. Was dabei übersehen wird, sind die Gemeinsamkeiten, die es trotz aller Unstimmigkeiten ja auch zwischen den Lagern gibt. Was Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Anschauung miteinander verbindet und wie sie Trennendes überwinden können, darüber hat die Journalistin Hadija Haruna-Oelker ein Buch geschrieben: „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“. Es war für den „Preis der Leipziger Buchmesse“ 2022 nominiert.
Wer:
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
* Hadija Haruna-Oelker Was: Rezension mit O-Tönen Wann: 16.03.2022, 07:40 Uhr Wo: mdr kultur
Aktuell ist die Gastfreundschaft groß gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine. Ein Blick in die Geschichte aber zeigt: Uneingeschränkt willkommen ist in Deutschland nicht jeder. Vor allem Menschen mit nichtweißer Hautfarbe oder aus nicht-christlichen Religionen empfindet ein Teil der Deutschen als Bedrohung. Hadija Haruna-Oelker sieht in diesem Anderssein, in dieser Differenz, genau das Gegenteil. Sie assoziiert damit Schönheit und Zugewinn.
01_O-Ton Hadija Haruna-Oelker
„Die Haltung basiert auf einer Erfahrung, weil ich einfach in meinem Leben von den unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Differenzerfahrungen und damit auch Diskriminierungserfahrungen verbunden war, begleitet wurde, befreundet bin, kennengelernt habe. Genau und so konnte ich einfach total viel lernen über das Leben der anderen oder derer, die ich nicht bin. Oder die Erfahrung, die ich eben nicht gemacht habe. Das hat meine Haltung bestimmt.“
Dies so selbstbewusst auszusprechen, ist für Hadija Haruna-Oelker, geboren 1980, Ergebnis eines längeren Prozesses. Ihr Vater ist muslimisch, gebürtig in Ghana. Die Mutter eine weiße Christin aus Deutschland. Haruna-Oelker beschreibt, wie sie als Teenagerin beginnt, zu ihrer eigenen Identität zu finden und zu verstehen, wie sehr sie von rassistischen Vorstellungen umgeben ist. Ein Beispiel dafür: der abwertende Begriff „Mischling“. Später studiert sie Politikwissenschaft und erkennt: Ihre Erfahrungen sind Teil einer größeren Geschichte von Kolonialismus und Migration. Beides verknüpft sie im Buch: Persönliches Erleben und die historische Einordnung. Gleichzeitig stellt Hadija Haruna-Oelker klar: Diskriminierung trifft auch Weiße. Nämlich dann, wenn auch sie die Erfahrung machen, anders zu sein als die vermeintliche Norm.
02_O-Ton Hadija Haruna-Oelker
„Dazu zählen Behindertenfeindlichkeit, Altersdiskriminierung, das Thema Neurodiversität. Ich hab in meinem Leben Menschen unterschiedlichster Differenzerfahrungen. Und das hat mir aufgezeigt, dass Differenz genau soviel mehr ist, als wir auf den ersten Blick glauben und deswegen in unseren Begegnungen auch öfter einmal innehalten sollten, weil wir gar nicht wissen können, nur aufgrund eines äußeren Erscheinungsbildes, wie es zum Beispiel in dem einem Menschen aussieht. Und dass es zum Beispiel Dinge gibt, in denen wir uns ähneln.“
In der Unterschiedlichkeit das Verbindende suchen, das ist die zentrale Botschaft von Hadija Haruna-Oelker. Und das kann überraschend sein, wie sie schildert. Die Journalistin ist ein Arbeiterkind, die den Bildungsaufstieg geschafft hat. Im Job fühlt sie sich nun viel eher jenen Kolleginnen und Kollegen verbunden, die diesen Milieuwechsel ebenso vollziehen konnten, selbst wenn diese nicht schwarz sind.
03_O-Ton Hadija Haruna-Oelker
„Damit will ich deutlich machen, die Kategorisierung, die Menschen vornehmen und glauben, die einen gehören zusammen und trennen sich von den anderen, ist eine falsche Konstruktion. Sie ist alt, sie hat Geschichte. Diese Geschichte erzähle ich in meinem Buch. Und wenn man das begreift, lösen sich diese Grenzen auf.“
Das klingt optimistisch. Doch die „Schönheit der Differenz“ ist alles andere als ein Wohlfühlbuch. Denn Hadija Haruna-Oelker zeigt klar auf die Leerstellen im gesellschaftlichen Bewusstsein. Sie fordert eine Erinnerungskultur, die Migrantinnen und Migranten in die deutsche Geschichte einschreibt. Eine Polizei, die nicht nach Hautfarbe unterscheidet, wie 2020 nach dem Anschlag in Hanau geschehen. Und Solidarität, nämlich dass jene, die nicht diskriminiert sind, von ihrer Macht abgeben.
Bei aller Kritik an den bestehenden Verhältnissen: Haruna-Oelker verurteilt nicht. Immer wieder erklärt sie ihre Position, spricht von eigenen Privilegien, wo diese existieren. Das macht dieses herausragende Buch so besonders: Der Ton, mit dem sie die Brücke zu denen baut, die Diskriminierung dulden, manchmal aus Angst, in polarisierten Debatten das falsche zu sagen. Ihr Rat ist so simpel wie machbar: Seid neugierig auf den anderen.
04_O-Ton Hadija Haruna-Oelker
„Vielleicht ist es auch mit Schuld und Schamgefühlen erst einmal verbunden, Dinge nicht zu wissen, zu kennen und auch in der Kommunikation und in der Begegnung mit anderen Reibung zu erfahren. Vielleicht auch Streit. Und wenn man aber diesen Weg gegangen ist, dann merkt man, dann öffnet sich eine Tür und dann sind die anderen Türen eine ganz natürliche Öffnung. Und diesen Weg beschreibe ich auch in meinem Buch anhand meiner Geschichte.“
Ein Buch, das ein Gesprächsangebot ist, das man unbedingt annehmen sollte.
26. Mai 2021
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: Die große Illusion: Ein Schloss, eine Fassade und ein Traum von Preußen | Hans von Trotha
Die große Illusion: Ein Schloss, eine Fassade und ein Traum von Preußen
Von Hans von Trotha
140 Seiten | 16,00 Euro
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
ISBN-13: 978-3946334927
Erscheinungstag: 18.05.2021
Kaum ein Bauprojekt in der jüngeren Geschichte Berlins dürfte umstrittener sein als der Neubau des Stadtschlosses Unter den Linden. Kaum aber auch eines dürfte in sich widersprüchlicher sein: Nach außen repräsentiert die rekonstruierte Schlossfassade den Geist der Monarchie. Der Innenbereich aber – das Humboldt Forum – soll in die Zukunft weisen und ein weltoffener Ort für Kultur und Wissenschaft, für Austausch und Debatten werden. Doch kann das aufgehen? Wie lässt sich dieser Widerspruch zwischen innen und außen in der Praxis auflösen? Zuallererst mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Neubaus, mahnt der Historiker und Journalist Hans von Trotha. In seinem Buch „Die große Illusion. Ein Schloss, eine Fassade und ein Traum von Preußen“ rekapituliert er die jahrzehntelangen Kontroversen rund um das Prestigeprojekt.
Wer:
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
* Hans von Trotha, Journalist, Historiker Was: Beitrag Wann: 26.05.2021 Wo: mdr kultur
Eigentlich scheint es zu spät zu sein für dieses Buch. Die Schloss-Attrappe steht, die Schlachten sind geschlagen, das Kind – so könnte man Hans von Trothas Enttäuschung über das Bau-Projekt zusammenfassen – in den Brunnen gefallen. Warum also noch weiter darüber reden? Hans von Trotha.
01_O-Ton Hans von Trotha
„Eine Fassade wie diese verändert die Stadt. Und eine Fassade erzählt in der Regel ihre Geschichte nicht, sondern die muss man mühsam herauslesen oder kennen. Und in diesem Fall finde ich es besonders wichtig, dass man die Geschichte der Fassade kennt, weil die Fassade im Wesentlichen ein Denkmal ihrer Entstehung und ihrer Geschichte ist. Der Moment, in dem es fertig ist und man anfangen könnte, diese Vorgeschichte zu vergessen, das sollte man meiner Meinung nach nicht.“
Diese Vorgeschichte beschreibt und analysiert von Trotha in seinem Buch, das sich wie eine kritische Kommentierung verschiedenster Perspektiven liest, die rund um den Schloss-Neubau existieren. Da sind – zuallererst – die Argumente der Befürworter wie Joachim Fest oder Wolf Jobst Siedler, die sich gleich nach der Deutschen Einheit 1990 publizistisch für den Wiederaufbau ins Zeug legen. Da sind die abwägenden Debatten im Feuilleton und da ist die Gegenseite – die, wie von Trotha selbst, den Neubau für einen Fehler hält. Weil die Schloss-Rekonstruktion eins zu eins, ohne irgendeine Brechung, Vergangenheit manifestiere, sei das Wissen um diese Debatten besonders wichtig, meint von Trotha, der sich mit seinem Text ausschließlich auf die Fassade und nicht auf das Innere konzentriert, wie er immer wieder betont.
02_O-Ton Hans von Trotha
„Diese Trennung ist natürlich auch ein großes Problem, weil eine Spannung entsteht. Und in den vielen Vorbereitungsdiskussionen wurde dann immer gesagt: Ja, dieser Ort ist halt einerseits eine Geschichte des Kaiserreichs, andererseits aber auch ein Ort, an dem das Volk zusammenkommt. Jetzt ist es so: Die Fassade erzählt eigentlich nur die Geschichte des Kaiserreichs. Und das ist mein Punkt. In dieser Stadt spricht eine Fassade zu mir und zwar sehr, sehr laut, mit sehr, sehr klaren Botschaften.“
Botschaften, für die es in einer demokratischen Republik des 21. Jahrhunderts besser keinen Ort geben solle. Hier kommt seine Perspektive als Historiker und Philologe ins Spiel. Hans von Trotha betrachtet ein Bauwerk nämlich nicht kunsthistorisch. Für ihn ist entscheidend, welche Wirkung es auf eine Stadt und auf die Gesellschaft hat. Und das sei nun mal zuallererst die Aufforderung zum Blick in die Vergangenheit – auf ein Kaiserreich, das für Blut und Eisen stehe und für die Einigung Deutschlands von oben. Besonders fatal denn auch aus seiner Sicht: Dass auch die umstrittene Kuppel und das Kreuz Teil der Rekonstruktion wurden. Beides war ursprünglich während der Revolution 1848/49 installiert worden. Hans von Trotha.
03_O-Ton Hans von Trotha
„Die Kuppel erregt Widerstände bei Leuten, die das Gebäude näher kennen auch deswegen, weil sie eben kein profaner Bau war, sondern eine Kapelle, die als Krönung auf dieses Schloss gesetzt worden ist als Anspruch des Gottesgnadentum des Königs, der auch Oberhaupt der preußischen Staatskirche war. Dieses Gottesgnadentum Mitte des 19. Jahrhunderts zu behaupten, finde ich hochproblematisch und es kam auch ja prompt zur Revolution. Aber die Kuppel wurde fertig gebaut und das Kreuz wurde draufgesetzt.“
Auch wenn Hans von Trotha seinen Frust immer wieder rauslässt: Sein Buch überzeugt. Die profunde Sachkenntnis, wenn es um Architektur und Geschichte geht, die Vielzahl an Stimmen, mit denen er sich beschäftigt und die gesellschaftliche Einordnung sind ein echter Gewinn. Denn von Trotha zeigt auch, dass die Schloss-Befürworter sich einen Zeitgeist zunutze machen konnten, der von einer „Renationalisierung, einem neuen Nationalismus“ geprägt ist, wie er den Historiker Eckart Conze zitiert. Umso mehr setzt von Trotha auf die kommenden Generationen und lässt, bei aller Kritik, auch Hoffnung durchschimmern. Hoffnung auf einen produktiven Umgang mit dem Schloss-Neubau. Vielleicht könne sich ja durch eine kluge Aneignung der ganze Bau doch noch als richtig erweisen.
04_O-Ton Hans von Trotha
„Ja das hoffe ich natürlich. Auch dafür habe ich dieses Buch geschrieben. Da setze ich doch sehr auf die Phantasie von weltweit vernetzten, international denkenden, engagierten jungen Leuten, die alle möglichen Techniken und Mittel draufhaben und Erfindungen machen, die wir teilweise noch gar nicht kennen. Dass sie damit in einer kreativen Weise umgehen. Ich bin ja sehr hoffnungsvoll. Schließlich sind wir in Berlin.“
19. September 2020
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Cory Doctorow: Großer Schaden von Monopolen durch Korruption
Cory Doctorow 2014 | Foto: Dan Taylor/Heisenberg Media, CC BY 2.0
In ihrem Buch “Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus” entwirft Shoshana Zuboff ein düsteres Szenario von der Zukunft. Ihre These: Die großen Tech-Unternehmen sammeln Daten und erstellen daraus Prognosen vom zukünftigen Verhalten der Nutzer. Diese Prognosen verkaufen sie an die Werbeindustrie und das geht umso profitabler, desto genauer sie sind. Deshalb versuchen die Unternehmen zunehmend, das Verhalten der Nutzer so zu manipulieren, dass sie diesen Verhaltensprognosen entsprechen. Das heißt, wir werden nicht nur überwacht und getrackt, sondern auch manipuliert. Am Ende steht totale Kontrolle.
Der kanadische Science Fiction-Autor und Aktivist Cory Doctorow hält das für eine falsche Einschätzung. In seinem gerade erschienenen Buch “How to destroy the Surveillance Capitalism” argumentiert er, dass nicht Gedankenkontrolle das zentrale Problem ist, sondern die Monopolmacht der Konzerne. Diese müsse zerschlagen werden.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Diagnose von Shoshana Zuboff nicht zutrifft. Was stimmt daran nicht?
Zuboff hat völlig richtig beobachtet, dass es riesige Probleme mit den Datenmengen gibt, die die großen Tech-Firmen über uns sammeln. Aber sie nimmt an, dass der Grund für das Datensammeln darin besteht, dass sie damit unser Verhalten kontrollieren können, indem sie uns manipulieren. Und der beste Beweis dafür seien die Unternehmen selbst, die an Werbetreibende unsere Daten mit dem Versprechen verkaufen: Wir können menschliches Verhalten manipulieren.
Aber es gibt nicht allzu viele Beweise dafür, dass sie das können. Stattdessen, glaube ich, gibt es eine andere Antwort darauf, wie die Tech-Firmen uns manipulieren und warum sie die ganzen Daten sammeln: Nämlich, weil sie ein Monopol haben! Wenn du ein Monopol hast und damit alle meine Freunde als Geiseln halten kannst, zum Beispiel bei Facebook. Oder wenn du der einzige Ort bist, wo Menschen nach Informationen suchen, weil du Google bist. Oder wenn du entscheidest, welche Software auf ihren Telefonen laufen darf und wer sie reparieren darf, wie Apple, dann kannst du wirklich Verhalten kontrollieren. Aber nicht, indem du mich mit Daten täuschst und steuerst, sondern einfach mit dem, was Monopole schon immer getan haben.
Egal ob es sich um Bier handelt, um Brillen, um Energie oder sogar beim professionellen Wrestling: Alles wird durch ein paar dominante Firmen kontrolliert. Und sie sind alle dominant geworden, indem sie ihre Konkurrenten aufgekauft haben.
Wie Sie die Monopole beschreiben: Würden Sie sagen, diese Auswirkungen sind schlimmer, als die Gedankenkontrolle, von der Shoshana Zuboff ausgeht?
Lassen Sie uns erst darüber sprechen, wie plausibel die Vorstellung der Gedankenkontrolle ist. Man sagt, außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise. Und es gibt nicht viele Beweise dafür, dass sie ein Gehirn-Kontroll-System gebaut haben könnten. Alle, die jemals so etwas geschaffen haben wollen, sei es die CIA mit MK Ultra oder Joseph Goebbels, der jeden gezwungen hat, zwei Stunden Propaganda-Radio am Tag zu hören oder die Pick-Up-Artist-Bewegung, die meint, jede Frau zum Sex mit ihnen überzeugen zu können, wenn nur die richtigen Worte gesagt werden oder jede andere, der behaupten würde, Gedanken kontrollieren zu können: Sie lügen! Sie belügen sich selbst oder die Öffentlichkeit und manchmal auch beides.
Ich glaube, dass der große Schaden, der von Monopolen ausgeht, durch Korruption entsteht. Das sehen wir bei Monopolen immer wieder. Wir sehen, wie sie Arbeitsstandards unterwandern, wie sie Steuern hinterziehen und vermeiden. Es ist kein Zufall, dass jedes Tech-Unternehmen in der EU sein Headquarter dort hat, wo die größten Steueroasen sind. In Malta, wo dein Auto in die Luft gesprengt wird, wenn du dort Korruption und Steuerhinterziehung berichtest. Oder in Luxemburg, einem kriminellen Unternehmen mit einem Land dazu. angeknüpft. Oder in Irland, einem weiteren Steuerparadies.
Die Monopole zerstören den Gedanken, dass es ein Regelsystem für alle gibt, dass Gesetze für alle gleich gelten. Es führt dazu, dass das Vertrauen in unsere Regierungen zusammenbricht. Dann wird ihnen auch nicht mehr geglaubt, wenn es um den 5G-Ausbau geht oder um Migration oder alle möglichen Angelegenheiten.
Der Grund, weshalb manche Menschen meinen, dass Impfungen eine schlechte Idee sind und weshalb sie andere mit dieser Idee überzeugen können, liegt daran, dass sie damit argumentieren, dass die Pharmakonzerne korrupt sind. Und damit haben sie Recht!
Die Monopole der Pharmaindustrie sind korrupt. Sie haben Opiate überall auf der Welt verkauft, obwohl sie wussten, dass sie gefährlich sind. Und die Aufsichtsbehörden haben sie nicht daran gehindert und damit Millionen Menschen getötet. Wenn die Aufsichtsbehörden wirklich durchgreifen und die Pharma-Industrie bestrafen würden, dann würde die Theorie der Impfgegner zusammenbrechen. Das ist reale Gefahr, wenn man Monopole zulässt. Es zerstört unser Vertrauen darin, die Wahrheit darüber zu wissen, wie die Dinge ablaufen. Denn wir können den Prozessen nicht länger vertrauen.
Sie schlagen vor, die Monopole zu bekämpfen. Sie vielleicht sogar zu zerschlagen. Wie kann das funktionieren?
Schritt für Schritt. Ein Biss nach dem anderen. So, wie man einen Elefanten isst: Ein Biss nach dem anderen. Die ersten Aktionen werden lange dauern. Als die USA ein Kartellrechtsverfahren gegen IBM eingeleitet haben, hat sich das zwölf Jahre hingezogen. Pro Jahr hat dieser eine Prozess IBM mehr Geld gekostet, als die ganze US-Behörde insgesamt für kartellrechtliche Verfahren ausgegeben hat. Es war sehr teuer und sehr langwierig. Letztendlich hat die US-Regierung aufgegeben.
Aber während dieser Zeit hat sich IBM besser benommen. Sie haben zum Beispiel kein eigenes Betriebssystem gebaut und Microsoft eines in ihrer Infrastruktur entwickeln lassen. Denn IBM hatte Angst, zerschlagen zu werden. Das Problem mit dem zwölf Jahre dauernden Verfahren gegen IBM sind nicht die zwölf Jahre, sondern der Fakt, dass wir aufgegeben haben. Hätten wir unsere Klingen scharf gehalten und wäre Ronald Reagan nicht Präsident gewesen – er war derjenige, der das Verfahren einstellte – dann hätten wir einen Präzedenzfall gehabt, um das nächste Monopol zu zerschlagen. Und dann das nächste und das nächste.
Wenn wir beginnen, den Monopolen zu drohen und sie zu regulieren, dann verhalten sie sich besser. Dann ist es leichter, sie daran zu hindern, immer weiter zu wachsen. Und erinnern Sie sich: Monopole sind nicht nur ein Tech-Problem. Sie sind es in jedem Industriezweig. Das ist ein bisschen wie in der Umweltbewegung, bevor es eine Bewegung war. Es gab weltweit verschiedene Gruppen, die bestimmte Probleme angeprangert und gute Arbeit geleistet haben, sich aber nicht als Teil eines gemeinsamen Projektes ansahen – bis der Begriff “Ökologie” aufkam. Und damit die Erkenntnis, dass jedes kleine Problem Teil eines großen ist. So entstand die ökologische Bewegung.
Wir stehen am Beginn einer Bewegung für Wettbewerb und Pluralismus. Wir stellen Gemeinsamkeiten her mit Leuten, die sauer sind, weil alle Taxiunternehmen der Welt im Besitz von ein paar Tech-Giganten sind oder weil das Finanzwesen und alle Brillen und Kontaktlinsen einer Handvoll Unternehmen gehören. Alle zusammen können wir Veränderung herbeiführen – indem wir diese Angelegenheiten in einer Bewegung zusammenführen.
Das wollte ich fragen: Würden Sie sagen, dass wir eine Bewegung von unten brauchen? Dass die Leute sagen: Diese Monopole wollen wir nicht länger haben!
Ich denke, wir brauchen ein Spiel, das innen und eins, das außen spielt. Es gibt Politiker, die mögen Monopole, weil sie später für sie arbeiten können. Aber viele sind auch in die Politik gegangen, weil sie der Allgemeinheit dienen möchten. Und diese mögen es überhaupt nicht, dass sie wie Angestellte für die Monopole agieren sollen. Sie würden diese gern bekämpfen, aber sie haben nicht das Gefühl, dass dies dem politischen Willen entspricht. Sie denken, wenn sie es versuchen würden, dann würde die Öffentlichkeit das nicht gut finden. Erst wenn deutlich wird, dass die Gesellschaft es möchte, werden diese Politiker auch handeln.
Roosevelt war der erste Präsident, der die Kartelle eingeschränkt hat. Nach seiner Wahl war die Bürgerrechtsbewegung zu ihm gekommen und hat Veränderungen gefordert. Da hat er gesagt: Ich möchte etwas ändern, aber ihr müsst mir dabei helfen. Politiker sind keine Diktatoren. Sie können nur bis zu einem bestimmten Punkt gegen die Bevölkerung agieren. Wenn sie den öffentlichen Willen hinter sich haben, dann können sie ihren Job sehr viel einfacher machen.
Besteht nicht das Hauptproblem darin, dass wir nicht in der Lage sind, Alternativen zu sehen? Dass wir denken, wir können nicht ohne die großen Tech-Unternehmen leben, dass wir Facebook brauchen, weil es keine alternativen Netzwerke gibt?
Alles ist unmöglich, solange, bis es nicht mehr unmöglich ist. Was wir brauchen sind normative Veränderungen. Wir müssen unsere Erwartungen an Technologie ändern. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als das Internet nicht nur aus fünf verschiedenen riesigen Webseiten bestand, die Screenshots von den anderen vier enthalten. Viele Leute fühlen genauso wie ich. Es gibt keinen Grund, dass man Menschen überwachen muss, um eine Suchmaschine zu betreiben. Das war eine Entscheidung. Wir können eine andere Entscheidung treffen. Eine Suchmaschine muss kein Werbeunternehmen sein. All diese Dinge sind Zufälligkeiten. Man konnte sich das alles nicht vorstellen, bevor es da war. Und was als nächstes kommt, kann man sich genauso wenig vorstellen, bis es existiert. Dabei kann es übrigens helfen, ein Science-Fiction-Autor zu sein.
25. Juli 2020
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: „Power to the People“ – Wie Technologie die Demokratie verändert | Georg Diez, Emanuel Heisenberg
„Power To The People. Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden“
Von Georg Diez, Emanuel Heisenberg
176 Seiten | 18 Euro | 13,99 (eBook)
Verlag: Hanser, Berlin 2020
ISBN-13: 978-3-446-26417-5
Erscheinungstag: 09.03.2020
Technologische Revolutionen haben Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Das gilt natürlich auch für die Digitalisierung. Damit die Demokratie gerettet werden kann, müssen sich ihre Institutionen aber auf die veränderte Situation einstellen, fordern die Autoren. Und machen Vorschläge, wie es gelingen kann.
Wer:
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
* Jörg Wagner (Moderation) Was: Gespräch zum Buch Wann:25.07.2020, 18:23 Uhr im radioeins-Medienmagazin und im rbb Inforadio, 26.07.2020, 10:44/17:44/22:44 Uhr in einer gekürzten Fassung
18. Juli 2020
von Vera Linß Kommentare deaktiviert für Buch-Tipp: „Todesalgorithmus. Das Dilemma der Künstlichen Intelligenz“ | Roberto Simanowski
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist in Gefahr, wenn Künstliche Intelligenz über Leben und Tod entscheiden soll. Als Ausweg aus diesem Dilemma schlägt der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski vor, den Algorithmen gleich ganz die Macht zu übergeben.
Wer:
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
* Jörg Wagner (Moderation) Was: Gespräch zum Buch Wann:18.07.2020, 18:39 Uhr im radioeins-Medienmagazin und im rbb Inforadio, 19.07.2020, 10:44/17:44/22:44 Uhr in einer gekürzten Fassung
Roberto Simanowski:
„Ich denke, wir müssen recht früh überlegen, was wir der KI übergeben wollen. Wir sollten ihr natürlich nicht die Führung unseres Lebens insgesamt übergeben, sodass wir dann faktisch vor den Zustand des Erkennens von Gut und Böse zurückgehen, also in den paradiesischen Zustand und nicht mehr irren können, aber auch nichts mehr richtig machen können. Das wäre ein höllischer Zustand dieses Paradies. Das möchte ich nicht. Aber ich denke schon, man muss darüber nachdenken, inwiefern KI uns auch helfen kann, globale Probleme zu lösen.“