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Vera Linß, Moderatorin und Journalistin

Buch-Tipp: „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“ | Hadija Haruna-Oelker

Vera Linß | Foto: © Jörg Wagner

Vera Linß | Foto: © Jörg Wagner

„Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“
Von Hadija Haruna-Oelker
560 Seiten | 24,00 Euro
Verlag: btb Verlag
ISBN-13: 978-3442759460
Erscheinungstag: 14.03.2022

Bestimmte Themen führen immer wieder zu Grabenkämpfen in der öffentlichen Debatte. Etwa wenn es um den Einsatz des Gendersternchens geht oder um die Umbenennung von Straßen mit kolonialem Bezug. Auch die so genannte Identitätsdebatte birgt viel Sprengstoff – die Frage also, ob nicht jeder nur sich selbst repräsentieren und nur über sich selbst sprechen darf: Weiße über Weiße, Schwarze über Schwarze, Ostdeutsche über Ostdeutsche. Was dabei übersehen wird, sind die Gemeinsamkeiten, die es trotz aller Unstimmigkeiten ja auch zwischen den Lagern gibt. Was Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Anschauung miteinander verbindet und wie sie Trennendes überwinden können, darüber hat die Journalistin Hadija Haruna-Oelker ein Buch geschrieben: „Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken“. Es war für den „Preis der Leipziger Buchmesse“ 2022 nominiert.

Wer:
* Vera Linß, freie Medienjournalistin
* Hadija Haruna-Oelker
Was: Rezension mit O-Tönen
Wann: 16.03.2022, 07:40 Uhr
Wo: mdr kultur

Aktuell ist die Gastfreundschaft groß gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine. Ein Blick in die Geschichte aber zeigt: Uneingeschränkt willkommen ist in Deutschland nicht jeder. Vor allem Menschen mit nichtweißer Hautfarbe oder aus nicht-christlichen Religionen empfindet ein Teil der Deutschen als Bedrohung. Hadija Haruna-Oelker sieht in diesem Anderssein, in dieser Differenz, genau das Gegenteil. Sie assoziiert damit Schönheit und Zugewinn.

01_O-Ton Hadija Haruna-Oelker

„Die Haltung basiert auf einer Erfahrung, weil ich einfach in meinem Leben von den unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Differenzerfahrungen und damit auch Diskriminierungserfahrungen verbunden war, begleitet wurde, befreundet bin, kennengelernt habe. Genau und so konnte ich einfach total viel lernen über das Leben der anderen oder derer, die ich nicht bin. Oder die Erfahrung, die ich eben nicht gemacht habe. Das hat meine Haltung bestimmt.“

Dies so selbstbewusst auszusprechen, ist für Hadija Haruna-Oelker, geboren 1980, Ergebnis eines längeren Prozesses. Ihr Vater ist muslimisch, gebürtig in Ghana. Die Mutter eine weiße Christin aus Deutschland. Haruna-Oelker beschreibt, wie sie als Teenagerin beginnt, zu ihrer eigenen Identität zu finden und zu verstehen, wie sehr sie von rassistischen Vorstellungen umgeben ist. Ein Beispiel dafür: der abwertende Begriff „Mischling“. Später studiert sie Politikwissenschaft und erkennt: Ihre Erfahrungen sind Teil einer größeren Geschichte von Kolonialismus und Migration. Beides verknüpft sie im Buch: Persönliches Erleben und die historische Einordnung. Gleichzeitig stellt Hadija Haruna-Oelker klar: Diskriminierung trifft auch Weiße. Nämlich dann, wenn auch sie die Erfahrung machen, anders zu sein als die vermeintliche Norm.

02_O-Ton Hadija Haruna-Oelker

„Dazu zählen Behindertenfeindlichkeit, Altersdiskriminierung, das Thema Neurodiversität. Ich hab in meinem Leben Menschen unterschiedlichster Differenzerfahrungen. Und das hat mir aufgezeigt, dass Differenz genau soviel mehr ist, als wir auf den ersten Blick glauben und deswegen in unseren Begegnungen auch öfter einmal innehalten sollten, weil wir gar nicht wissen können, nur aufgrund eines äußeren Erscheinungsbildes, wie es zum Beispiel in dem einem Menschen aussieht. Und dass es zum Beispiel Dinge gibt, in denen wir uns ähneln.“

In der Unterschiedlichkeit das Verbindende suchen, das ist die zentrale Botschaft von Hadija Haruna-Oelker. Und das kann überraschend sein, wie sie schildert. Die Journalistin ist ein Arbeiterkind, die den Bildungsaufstieg geschafft hat. Im Job fühlt sie sich nun viel eher jenen Kolleginnen und Kollegen verbunden, die diesen Milieuwechsel ebenso vollziehen konnten, selbst wenn diese nicht schwarz sind.

03_O-Ton Hadija Haruna-Oelker

„Damit will ich deutlich machen, die Kategorisierung, die Menschen vornehmen und glauben, die einen gehören zusammen und trennen sich von den anderen, ist eine falsche Konstruktion. Sie ist alt, sie hat Geschichte. Diese Geschichte erzähle ich in meinem Buch. Und wenn man das begreift, lösen sich diese Grenzen auf.“

Das klingt optimistisch. Doch die „Schönheit der Differenz“ ist alles andere als ein Wohlfühlbuch. Denn Hadija Haruna-Oelker zeigt klar auf die Leerstellen im gesellschaftlichen Bewusstsein. Sie fordert eine Erinnerungskultur, die Migrantinnen und Migranten in die deutsche Geschichte einschreibt. Eine Polizei, die nicht nach Hautfarbe unterscheidet, wie 2020 nach dem Anschlag in Hanau geschehen. Und Solidarität, nämlich dass jene, die nicht diskriminiert sind, von ihrer Macht abgeben.

Bei aller Kritik an den bestehenden Verhältnissen: Haruna-Oelker verurteilt nicht. Immer wieder erklärt sie ihre Position, spricht von eigenen Privilegien, wo diese existieren. Das macht dieses herausragende Buch so besonders: Der Ton, mit dem sie die Brücke zu denen baut, die Diskriminierung dulden, manchmal aus Angst, in polarisierten Debatten das falsche zu sagen. Ihr Rat ist so simpel wie machbar: Seid neugierig auf den anderen.

04_O-Ton Hadija Haruna-Oelker

„Vielleicht ist es auch mit Schuld und Schamgefühlen erst einmal verbunden, Dinge nicht zu wissen, zu kennen und auch in der Kommunikation und in der Begegnung mit anderen Reibung zu erfahren. Vielleicht auch Streit. Und wenn man aber diesen Weg gegangen ist, dann merkt man, dann öffnet sich eine Tür und dann sind die anderen Türen eine ganz natürliche Öffnung. Und diesen Weg beschreibe ich auch in meinem Buch anhand meiner Geschichte.“

Ein Buch, das ein Gesprächsangebot ist, das man unbedingt annehmen sollte.

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