Wer:
* Christoph Keese, Executive Vice President der Axel Springer SE
* Vera Linß, Medienjournalistin
Was: Interview zum Start von „POLITICO Europe“ am 21.04.2015
Wann: rec.: 23.03.2015
Wo: Berlin
Was erwartet den User bei POLITICO Europe?
Den Leser erwartet eine europäische Ausgabe des in den USA sehr erfolgreichen journalistischen Konzeptes POLITICO. Was ist POLITICO? POLITICO ist vor acht Jahren gegründet worden als Konkurrenz zur wichtigsten Zeitung in Washington, der Washington Post, von zwei ehemaligen Journalisten der Washington Post, dem White House Correspondent und dem Ressortleiter Innenpolitik. Die beiden haben sich gedacht, dass die Stadt eine völlig andere Form von Journalismus braucht und sind am Anfang mit viel Fragezeichen zunächst belächelt worden. Dann aber haben sie innerhalb weniger Jahre gezeigt, dass sie nicht nur eine andere Form des Journalismus finden, sondern diese Form auch auf starke Nachfrage stößt. Sie haben´s innerhalb weniger Jahre geschafft, die führende und wichtigste Publikation in Washington zu werden. Viele in Washington sagen, dass sie inzwischen viel wichtiger sind, als die Washington Post. Sie sind sehr schnell profitabel gewordne und sie haben ein völlig neues Geschäftsmodell entwickelt, das eben auch profitabel ist und im Internet spielt. Wir haben’s hier nicht nur mit einer glänzenden neuen Form von Qualitätsjournalismus zu tun, sondern eben auch mit einer sich lohnenden Forme des digitalen Qualitätsjournalismus. Also eigentlich ist da ein Stück weit eine Formel gefunden worden, für das, was allerorten gesucht wird, nämlich die Möglichkeit, ausgezeichneten Journalismus zu finanzieren, die das Internet bietet.
Wie läuft die Finanzierung?
POLITICO besteht aus mehreren Produkten. Das eine ist eine parlamentstäglich erscheinende Zeitung. Die gibt es dort kostenlos. Die wird finanziert durch Anzeigen, also ein relativ traditionelles Modell, das aber nicht den wichtigsten Teil des Umsatzes darstellt. Der wichtige Teil des Umsatzes ist die Webseite. Und die besteht aus zwei Teilen, einem offenen Teil, werbefinanziert, auf den jeder drauf gehen kann, wo aber nur ein Bruchteil dessen steht, was die journalistisch produzieren. Der wichtige Teil und hier liegt die Innovation, ist die Berichterstattung über bestimmte Themengebiete, so genannte verticals. Insgesamt 13 verticals bereiten die. Z.B. zum Thema Energiewirtschaft, Gesundheitswirtschaft , IT-Technology oder Kartellrecht. Und bei diesen Themengebieten beschäftigt POLITICO dramatisch mehr Journalisten als die Konkurrenz. Beispiel: Obamacare, die große Gesundheitsreform der USA wird von den traditionellen Medien Washington Post, New York Times mit ungefähr ein bis zwei Redakteuren begleitet. Regionalzeitungen haben viel weniger Leute dafür. Das ist, was sich die großen Zeitungen leisten können. POLITICO deckt dieses Themengebiet Obamacare mit 12 oder 13 Leuten ab, es ist also ein enormer Aufwand, der da getrieben wird. Dafür aber erfahren die Profis, die es benötigen, alles, was sie für ihre Arbeit brauchen und bezahlen dafür einen exorbitant hohen Abopreis. 7500 $ pro Jahr. Traditionelle Zeitungen kosten im Abo ca. 600 $ pro Jahr, die nehmen den mehr als zehnfachen Preis. Dieser Preis wirkt auf den ersten Blick absurd hoch, ist aber aus Sicht derjenigen, die ihn zahlen, eigentlich niedrig, weil sie dadurch in den Genuss von Informationen kommen, die sie ganz dringend brauchen, aber sich auf anderem Wege nicht zusammenstellen könnten.
Das heißt, es ist Qualitätsjournalismus für eine Elite?
Das könnte man so sagen. Wer ist diese Elite? Wenn man mit den beiden Gründern spricht, dann sagen die immer, dass sie als ZG vor ihrem inneren Auge nicht die breite Öffentlichkeit stehen haben, sondern eigentlich nur zwei Personen. Den Stabschef des Weißen Hauses, Chief of staff, und der andere ist der Mehrheitsführer auf dem Kongress. Diese beiden arbeiten ungefähr 3 km auseinander. Das ist der Abstand zwischen dem Capital Hill und dem Weißen Haus. Und die müssen natürlich von einander wissen, was sie an dem jeweiligen Tag machen. Sie wissen´s aber nicht und deswegen liefert ihnen POLITICO die Informationen aus dem jeweiligen gegenteiligen Lager. Diese beiden müssen erreicht werden. Das journalistische Ziel besteht darin, unverzichtbar zu werden für den Stabschef des Weißen Hauses und für den Mehrheitsführer im Kongress. Wenn das gelingt, und es gelingt ihnen jetzt fortgesetzt in acht Jahren, dann lesen das natürlich nicht nur diese beiden, sondern es lesen auch alle anderen, weil alle anderen auch wissen müssen, was der Stabschef des Weißen Hauses und der Mehrheitsführer im Kongress liest. Das bedeutet aber auch journalistisch, dass man ganz tief in die Details gehen muss. Ich will das an einem Beispiel illustrieren. Im traditionellen Journalismus redet man im Parlament eigentlich nur mit den wichtigsten Fraktionsführern und Ausschussvorsitzenden. Alle anderen gelten als Hinterbänkler. Im POLITICO-Journalismus gibt es keine Hinterbänkler. Weil, jeder sitzt in irgendeinem Ausschuss, jeder hat irgendeine Stimme und jede Stimme ist wichtig. POLITICO nimmt alle, die im Parlament sitzen, ungeheuer ernst, redet mit jedem, zitiert jeden, der etwas zu sagen hat und schafft damit natürlich auch ein Publikationsorgan für jeden, der etwas sagen möchte. POLITICO Ist damit auch ganz schnell zum Medium der Wahl für all diejenigen geworden, die eine Information rüberbringen wollen. Es hat sich also eine völlig neue Form von journalistischem Ökosystem hier gebildet. Das ist die Innovation. Und die bringen wir jetzt gemeinsam mit POLITICO in einem Joint Venture nach Europa.
Wer sind denn die beiden Zielpersonen in Brüssel?
Da haben wir natürlich lange drüber nachgedacht. Und natürlich gibt es diese zwei oder drei Personen auch, bloß in Europa kommt hinzu, dass die sehr weit auseinander sitzen. Ich will mal fünf oder sechs Leute nennen. Das eine ist der Präsident der EU-Kommission Juncker, das andere der Präsident des Europäischen Rats Donald Tusk. Aber dann natürlich der französische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin. Zwischen diesen Personen liegen 700 km Abstand. Frau Merkel ist natürlich immens wichtig, aber sitzt über eine Flugstunde entfernt von Brüssel. Es gibt wenig informelle Kommunikation zwischen den Städten Berlin und Brüssel. Gleichwohl ist es in Brüssel von höchstem Interesse zu wissen, wie die Kanzlerin denkt und umgekehrt möchte man in Berlin genau wissen, wie Herr Juncker denkt. D.h, die geographische Komplexität durch größere Abstände macht es journalistisch umso interessanter, weil der Bedarf umso größer ist, diese Abstände zu überbrücken. Da sehen wir unsere Chance.
Wie hat man sich poltiico europe vorzustellen? Welche Themengebiete gibt es? 1:1-Übernahem und wer wird es beackern?
Es gibt eine ausgezeichnet aufgestellte Redaktion, die übrigens die größte Redaktion in Brüssel sein wird. Wir werden 40 – 50 Journalisten in der Redaktion beschäftigen. Die Financial Times hat vier Leute in Brüssel. FAZ, Süddeutsche, Welt haben in Brüssel zwei Korrespondenten. Da sieht man schon, dass die Manpower wesentlich stärker ausgeprägt sein wird. POLITICO beschäftigt auch Korrespondenten in den europäischen Hauptstädten. Es erscheint einmal in der Woche auf Papier, immer donnerstags. Ansonsten aber durchgehend auf der Webseite mit einem offenen Teil und einem Teil mit Abos. Wir wählen den gleichen Weg eines Startups, den damals POLITICO gewählt hat. Wir bilden uns nicht ein, dass das Modell des amerikanischen POLITICO vollständig übertragbar wäre auf Deutschland, sondern wir starten ziemlich genau mit der gleichen Größe in der Redaktion, mit der damals die Amerikaner gestartet sind. Die sind mittlerweile viel viel größer, die haben über 200 Leute in der Redaktion. Und wir fangen mit drei verticals an, weil wir natürlich rausfinden möchten, welche sind die drei richtigen Themengebiete. Da setzen wir auf das Prinzip Versuch und Irrtum. Wir wissen das auch nicht, wir lassen den Markt entscheiden.
Was werden die drei Themen sein?
Das definieren wir gerade noch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die Gesundheitswirtschaft dabei sein, Energiewirtschaft und Informationstechnologie – das definieren wir aber noch.
Was kostet das?
Man muss dazu sagen, dass wir nicht ganz im luftleeren Raum starten. Sondern wir haben uns in unserem Joint Venture zwischen Springer und POLITICO dafür entschieden, die führende Publikation, die sowas ähnliches gemacht hat, zu kaufen. Die heißt „European Voice“. Die gehörte vorher zum Economist. Und ist vom Economist an unabhängige Unternehmer verkauft worden vor etwa 1½ Jahren. Die haben wir jetzt übernommen und die wird aufgehen in POLITICO. Sie wird umbenannt. Die Redaktion, die dort war, wird übernommen. Das Produkt heißt am Ende POLITICO, aber es basiert auf European Voice, was eine Menge Sinn macht. Da gibt´s schon Abonennten, Emaillisten, Leser. Das ist bei den Leuten auf dem Schreibtisch. Da müssen wir ganz viel Aufbauarbeit gar nicht mehr leisten, weil sie schon geleistet worden war vor vielen Jahren. Das Abo wird übernommen, das Produkt wird umbenannt und dramatisch verbessert.
Warum ist Springer in diesen Markt eingestiegen?
Aus zwei Gründen. Wir sind leidenschaftliche Verleger. Wir haben im Internet erfolgreiche nichtjournalistische Modelle etabliert, Rubrikenportale bspw. Aber wir haben tatsächlich den Ehrgeiz, ein führender digitaler Verlag zu sein. Das ist Grund eins und mit großer Begeisterung stellen wir uns dieser Herausforderung. Wir möchten und werden im Internet auf internationaler Skala eine der wichtigsten Verlage sein. Das ist heute schon vielfach gelungen, aber das ist unser proklamiertes Ziel. Der zweite Grund ist: Wir möchten ausdrücklich in den englischen Sprachraum hinein wachsen. Warum? Der deutsche Sprachraum, so groß wie er ist mit ungefähr 100 Millionen Deutsch sprechenden Menschen, hat ja doch seine Limitation. Der englische Sprachraum ist deutlich größer. In den USA leben 350 Mill. Menschen, das ist ein wesentlich größerer Markt. Und was ja alle Unternehmen im Internet feststellen, ist, dass wenn man den Startvorteil hat aus einem englischsprachigen Markt zu kommen, hat man eigentlich immer schon allen anderen was voraus, weil der Binnenmarkt so groß ist. So dass bei gleicher Anstrengung jedes Produkt automatisch viel besser läuft, als wenn man´s in kleineren Märkten wie Polen oder der Slowakei versucht. Das ist der Grund, warum wir in den englischen Sprachraum wollen. Hinzu kommt noch, dass Englisch in der demokratischen entwickelten Welt gesprochen wird. Wir haben keine besonders guten Erfahrungen gemacht in nichtdemokratischen Ländern. Wir verlegen z.B. auch Forbes in Russland. Da sind wir natürlich von allen politischen Entwicklungen immer mit betroffen, teilweise auch schwer betroffen. Englisch ist die Sprache der großen westlichen Demokratien und da gibt´s für uns noch viel zu gewinnen und deswegen werden wir und wollen wir einer der führenden auch englischsprachigen Verlage werden in einem absehbaren Zeitraum von vielleicht fünf oder zehn Jahren.
Wie schwer ist es, in den englischsprachigen Markt zu kommen? Wird da jeder genommen, der Geld hat? Oder welches sind andere Kriterien?
Im Augenblick sind journalistische Angebote im angelsächsischen Raum bei Investoren so populär, dass man fast schon von einer Überhitzung der Preise sprechen kann. Der in Deutschland verbreitete Pessimismus, im Internet investiert sowieso keiner in Journalismus und das kann sich alles gar nicht lohnen, das ist für die USA einfach unzutreffend. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird dort intensiv in journalistische Angebote investiert und viele Investoren erhoffen sich, dadurch, dass immer mehr Werbegeld ins Internet kommt, ganz erhebliche Renditen und das führt dazu, dass diejenigen, die erfolgreiche Produkte gegründet haben, sich die Investoren heutzutage fast aussuchen können. Bei vielen Projekten, die erfolgreich sind, stehen Investoren Schlange und es reicht eben nicht, einfach nur Geld mitzubringen. Ganz im Gegenteil: Nur mit Geld kommen Sie nirgendwo rein.
(Auszug)
(Screenshot + Foto: © POLITICO; Jörg Wagner)
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