@Verali

Vera Linß, Moderatorin und Journalistin

Dem neoliberalen Zeitgeist erlegen

Nikos Chilas

Nikos Chilas

Wer:
* Nikos Chilas, Journalist, seit 1992 als Korrespondent in Deutschland, aktuell für die Wochenzeitung „To Vima“
* Vera Linß, Medienjournalistin
Was: Interview zur Berichterstattung deutscher Medien über Griechenland
Wann: rec.: 08.07.2015, 15:15 Uhr
Wo: Berlin, Gebäude der Bundespressekonferenz

Die deutschen Massenmedien zeichnen sich durch Professionalität und guten Stil aus. Aber darüber hinaus, was die griechische Berichterstattung betrifft, ich finde, das ist zum großen Teil katastrophal. Ich sag Ihnen auch gleich, warum. Ich finde, dass die deutschen Medien dem neoliberalen Zeitgeist erlegen sind. Dadurch kommt es zu ziemlich großen Verzerrungen bei der Berichterstattung. Ich möchte nicht die Kollegen schlecht reden, sie sind die absoluten Profis. Es gibt den berühmten Verblendungszusammenhang von Adorno. Man geht sehenden Auges wohin und man sieht das, was man vor sich hat, nicht. Man sieht nicht, dass Deutschland und die anderen Gläubigerstaaten ein bereits ruiniertes Land doppelt ruiniert haben. Und sie gehen immer vom Standpunkt der Rhetorik und der Politik der Regierung aus. Dabei sind es – die Kollegen meine ich – ganz kritische Leute in jeder anderen Hinsicht. Aber in diesem einen Punkt finde ich, dass sie versagen.

Wie erklären Sie sich dieses Versagen?
Das habe ich Ihnen bereits erklärt. Das ist einerseits diese politische Blindheit, die eben zu diesem Verschauen führt. Ansonsten ist das nicht zu erklären. An guten Vorsätzen und analytischer Begabung, an Talent etc. fehlt es nicht.

Was müsste anders laufen?
Was die Journalisten betrifft – zunächst einmal einmal mit klarem Blick schauen. Nicht mit dem Vorurteil, mit dem man an die Sache geht. Das zweite wäre auch sehr wichtig – nach Griechenland fahren. Aber, wie gesagt, mit einem offenen Blick. Und mit den Leuten dort diskutieren, die vor Ort alles erleben. Ich erzähle Ihnen eine kurze Geschichte dazu: Die Leute vom IWF, die sind auch nach Griechenland gekommen, um Griechenland „zu retten“. Und sie betreiben dieses Rettungswerk seit fünf Jahren. Nur, sie haben dort keine originäre Untersuchung vorgenommen. Sie haben nicht die griechische Wirtschaft analysiert, sondern sie sind mit ein paar Rezepten im Koffer ins Land gekommen und sie haben sie gleich angewandt. Das sind die berühmt-berüchtigten Rezepte des IWF. Und das Ergebnis sehen wir jetzt: Griechenland ist ein total ruiniertes Land. So meine ich, sollte man nicht nach Griechenland gehen, mit fertigen Bildern und Rezepturen im Kopf. Sondern die Mühe machen, sich zu erkundigen und selbst zu analysieren.

„Es ist eine richtige Hetze“

Und das wurde auch nicht kritisch reflektiert von den deutschen Journalisten?
Das kann man nicht so pauschal sagen. Es gibt schon mehrere Journalisten und es gibt auch viele Medien, die das unternehmen. Es gibt auch wahnsinnig gute Analytiker und Wissenschaftler, die das richtig untersuchen. Aber ich meine, dass die Haupttendenz eine ist, die eben zu dieser Verblendung führt. Und es betrifft insbesondere die Medien. Die Medien sind, was die Rhetorik betrifft, viel schärfer in den negativen Urteilen zu Griechenland, als die Politiker. Es ist unglaublich. Das ist eine richtige Hetze und das betrifft nicht nur die BILD-Zeitung, sondern auch ganz seriöse Blätter. Zum Beispiel das Handelsblatt ist jetzt, seitdem es die Tsipras-Regierung gibt, das seriöse Gegenstück zu der BILD-Zeitung. Es ist eine Zeitung der Hetze. Und in einem bestimmten Ausmaß betrifft auch andere Blätter. Aber insgesamt, was die seriöse Presse anbelangt, die haben ein Narrativ, das diffamierend ist für die neue Regierung. Sie schauen nicht hin, was getan wird und sie hören nicht, was gesagt wird. Sowohl was die Programmatik dieser Regierung anbelangt, als auch was sie wirklich tut. Zum Beispiel eine Reihe von Gesetzen, die zur Humanisierung der Situation in Griechenland beitragen. Oder zur Demokratisierung in Griechenland beiträgt. Zum Beispiel in den Schulen. Sie haben Demokratie in die Schulen und die Universitäten hinein gebracht. Es gibt Dutzende von Gesetzen, die überhaupt nicht erwähnt werden in der deutschen Presse. Und von daher meine ich, dass die nur auf Tsipras prügeln, ohne wirklich seine Taten und seine Programmatik richtig zu würdigen.

„Ein unwürdiger Zustand“

Gibt es Schlagzeilen, die Sie vor Augen haben, wo Sie sagen: Das ist ein typisches Beispiel?
Na, ich hab sie schon im Kopf. Aber es geht nicht darum. Es ist so die allgemeine Tendenz, die ist ihnen auch nicht richtig gerecht. Das ist auch für sie ein unwürdiger Zustand, finde ich. Was die griechischen Medien betrifft, ich finde nicht, dass sie sehr kritisch sind. Das Gros der griechischen Medien ist auch von dieser Verblendung befallen. Ich würde sagen, dass etwa achtzig Prozent der griechischen Medien sich gegen die Regierung stellen, aber mit Argumenten, die unter jedem Niveau sind. Es ist eine Argumentation, die sehr beschränkt ist, die keine Möglichkeit hat, sich zu entwickeln. Das ist immer so das Darauf-Prügeln auf die Regierung mit allen möglichen Finten und Sachen, die oft nur im Bereich des Gerüchts Bestand haben und sonst nicht. Ihre politische Position ist nicht so richtig ausgegoren. Ich wollte noch hinzufügen, dass in diesen von mir kritisierten achtzig Prozent gibt es auch dort wunderbare Kollegen und Kolleginnen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die griechische Presse im großen Teil von Privatmächten, von Konglomeraten besessen ist und insofern ist auch nicht viel mehr zu erwarten von ihr.

Wie geht es weiter?
Was die Presse anbelangt? Allein schon der Umstand, dass es zwanzig Prozent gibt, die der Aufklärung gewidmet sind, und versuchen, die richtigen Informationen auf den Markt zu bringen, das ist schon nicht bloß sein Hoffnungsschimmer, sondern eine große Hoffnung. Die erreichen auch viel.

(Foto: © Vera Linß)

Kommentare sind deaktiviert.